Die
Polyfoto-Technik wurde in den 1930er-Jahren von Kodak in
Großbritannien eingeführt und fand schnell auch in Deutschland
weite Verbreitung. Sie ermöglichte die Aufnahme
kleinformatiger Serienporträts auf einer einzigen Glasplatte
.
Ursprünglich war
vorgesehen, dass Kunden eines der Bilder auswählen und
vergrößern lassen
. In der Praxis jedoch erfreuten sich auch die kleinformatigen
Aufnahmen großer Beliebtheit. Sie wurden ausgeschnitten,
verschenkt oder aufbewahrt – nicht nur als Passfoto für
Personaldokumente, sondern auch als persönliches Geschenk, für
das Familienalbum, als sogenanntes „Kussbild“ für die
Brieftasche bei räumlicher Trennung oder als Erinnerung an
gemeinsame Zeiten.
Das Verfahren
selbst war einfach und effizient
: Der Fotograf betätigte einen Kurbelgriff, der den
Plattenhalter automatisch schrittweise weiterbewegte, sodass
nacheinander Variationen eines Motivs aufgenommen wurden. Das
Ergebnis für den Kunden war ein Kontaktbogen mit bis zu 48
durchnummerierten Porträts, aus denen das bevorzugte Bild zur
Vergrößerung ausgewählt werden konnte.
Polyfotos wurden
– wie in einer Anzeige im Karlsruher Tagblatt vom 7.
Juni 1936 beworben – mit dem Versprechen angeboten, dass man
sich während der Aufnahme frei bewegen könne, was besonders
gelungene Porträts ermöglichen sollte
. Die daraus resultierende Serie bot eine große Auswahl an
Gesichtsausdrücken und Perspektiven.
Ironisch
berichtet der Reporter der Kölnischen Zeitung am 25.
November 1934, was er auf Berlins Kurfürstendamm beobachtete:
„Ich kann mir
vorstellen, dass Herrin und Hündchen zu ‚Polyfoto‘ gehen, wo
sie 48 lustige Aufnahmen machen lassen können. Einmal
rechtsrum im Profil, einmal sitzt Fifi der Herrin auf dem
Schoß, oder der Blick in den Polyfotoapparat enthüllt ein
zartes Stumpfnäschen, das dann, weil es besonders gut
gelungen ist, vergrößert und als sinniges Geschenk verwandt
wird.“
Oft wurden
mehrere Personen gemeinsam aufgenommen – vermutlich posierten
sie auf Anregung des Kamera-Operators, der die Kunden während
der Aufnahme begleitete.
Diese neuartige
Technik wirkte auf viele verblüffend und weckte Neugier. Sie
hatte vermutlich auch einen gewissen Unterhaltungswert.
Dennoch ist bei den erhaltenen Serien zu erkennen, dass es
manchen schwerfiel, sich völlig frei und ungezwungen zu zeigen
– möglicherweise, weil trotz der technischen Raffinesse doch
ein Fotograf anwesend war oder die Auftraggeber die neuen
Möglichkeiten noch nicht ganz erfassten.
Typisch war: Als
erste Aufnahme wurde die Auftragsnummer festgehalten. Auf der
Rückseite waren die Fotos durchnummeriert, um eine
Nachbestellung zu erleichtern.
Die
Polyfoto-Studios waren in Deutschland von den 1930er- bis in
die frühen 1970er- Jahre aktiv. In dieser Zeit entstanden
zahlreiche Porträtaufnahmen, die Einblicke in den Alltag
während des Nationalsozialismus, des Zweiten Weltkriegs und
der Nachkriegszeit in Ost- und Westdeutschland bieten.
Viele Bilder
wirken zunächst unauffällig und genormt, doch bei genauer
Betrachtung zeigen sie Hinweise auf gesellschaftliche
Entwicklungen, zeittypische Haltungen und die porträtierten
Personen – auch wenn die Identität oft nicht mehr bekannt ist
und lediglich das Fotostudio anhand eines Stempels auf der
Rückseite bestimmt werden kann.
Besonders
prägnant ist die Präsenz militärischer Uniformen in den
1930er- und 1940er-Jahren unter dem NS-Regime, die sich in
diesen privaten, oft ungezwungenen Aufnahmen widerspiegelt und
Teil des Alltagsbildes wurde.
In der
Nachkriegszeit – sowohl in der DDR als auch in der
Bundesrepublik – spiegeln die Porträts nicht nur den Wandel im
Geschmack, sondern auch den wachsenden Optimismus der
1950er-Jahre wider.
Erst bei genauer
Betrachtung entfalten die Bilder ihre ganze Tiefe und zeigen
Facetten der Alltagskultur jener Zeit, oft mehr durch das
Zwischen-den-Zeilen-Lesen als durch das Offensichtliche.
Mit dem
Aufkommen automatischer Passbildautomaten ab Ende der
1950er-Jahre verlor die Polyfoto-Technik zunehmend an
Bedeutung und wurde bis in die frühen 1970er-Jahre nur noch
vereinzelt verwendet.