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Das Antlitz aus dem Kaufhaus


Porträtfotografie in Berliner Kaufhäusern  (1900–1933)


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Wie Preisstrategien eine neue Bildsprache schufen:
Die Entstehung minimalistischer Porträtfotografie als Massenprodukt

Um 1900 wandelten sich Berliner Warenhäuser nicht nur zu Konsumtempeln, sondern auch zu Zentren fotografischer Innovation. Adolf Jandorf richtete 1898 in seinem Kreuzberger Haus ein eigenes Atelier ein – bald folgten auch andere wie die Jacob Gebrüder Nachfl., Tietz und Wertheim. Diese Fotostudios entwickelten sich zu festen Bestandteilen des Kaufhausangebots und boten neben der Entwicklung von Amateuraufnahmen professionelle Porträts direkt vor Ort an.

Die Ateliers waren organisatorisch Teil des Kaufhauses, trugen zum Markenimage bei und boten ein modernes, luxuriöses Ambiente. Jedes Porträt wurde mit dem individuell gestalteten Signet des Hauses versehen – Werbung im Alltag und Symbol für Exklusivität zugleich. Die Studios stärkten so die Kundenbindung und fungierten als wirksames Marketinginstrument.


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Demokratisierung durch günstige Preise

Die Kaufhäuser boten – abhängig von der Höhe des Einkaufs – kostenlose Porträtfotos an und senkten gezielt die Preise, um Kunden mit Lockangeboten zu gewinnen:
Im Warenhaus Jacob Gebrüder Nachfl. kostete ein Dutzend Porträts im Carte-de-Visite-Format 1,80 Mark – deutlich weniger als bei freien Fotografen. Auch Formate wie Postkarten waren für unter 2 Mark zu haben.

Diese Preispolitik ermöglichte es erstmals auch weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten, sich professionell porträtieren zu lassen – häufig ganz ohne besonderen Anlass. Durch die Notwendigkeit, fertige Bilder später abzuholen, ergaben sich zusätzliche Kaufhausbesuche.

Ein Besuch im Kaufhausatelier wurde so zu einem selbstverständlichen Teil des Einkaufsbummels – bequem, erschwinglich und zugleich prestigeträchtig.


Reaktion der etablierten Fotografen

Die Massenproduktion der Kaufhäuser bedeutete für traditionelle, handwerkliche Atelierfotografen einen tiefgreifenden Umbruch. Ihre meist aufwendig inszenierten, teuren Porträts gerieten unter Druck. Sie empfanden die Kaufhausfotografie oft als technisch und gestalterisch minderwertig.
Auch der Status der Fotografen und ihrer Gehilfen/Laboranten im Kaufhaus im Vergleich zu etablierten Fotostudios war umstritten.

Doch der Erfolg der Kaufhausstudios beruhte gerade auf ihrer Effizienz und der Fähigkeit, Luxus zugänglich zu machen. Die Kunden erlebten den Studiobesuch trotz niedriger Preise als hochwertig – getragen vom Prestige der Kaufhäuser selbst. A. Wertheim oder das KaDeWe galten als Orte moderner Eleganz – ihre Fotostudios profitierten von diesem Image erheblich.

Diese Demokratisierung des fotografischen Luxus zwang die etablierte Zunft, ihre Praxis zu überdenken. Der Berufsstand wurde neu definiert – irgendwo zwischen Kunsthandwerk, Industrieprodukt und urbaner Dienstleistung.



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Ein neues fotografisches Ideal

Mit wachsender Nachfrage entwickelte sich in der Porträtfotografie eine Art Fließbandproduktion, die auch den Stil der Bilder veränderte: Sie wurden schlichter und funktionaler; aufwendig gemalte Kulissen und Requisiten wurden sparsamer eingesetzt. Diese Reduktion war nicht nur ökonomisch effizient, sondern entsprach zugleich dem modernen Zeitgeschmack.

Die fotografierte Person rückte in den Mittelpunkt – nüchtern, direkt, vor neutraleren Hintergründen und in einer standardisierten Bildsprache. Die Posen waren vorgegeben; es ging nicht darum, ein Individuum abzubilden, sondern einem festgelegten fotografischen Muster zu entsprechen. Wert wurde auf Kleidung und persönliche Accessoires gelegt, die Wohlstand signalisierten, sowie auf eine möglichst vorteilhafte Darstellung.

Der klare, minimalistische Bildaufbau – Ausdruck eines rationalisierten Produktionsprozesses – führte zu einer seriellen, aus heutiger Sicht anonymisierten Ästhetik und nahm fotografische Stilmittel vorweg, die erst Jahrzehnte später in der dokumentarischen und konzeptuellen Fotografie  Anwendung fanden.


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Die Fotografie als Familienritual

Neben dem repräsentativen Porträt des Ehepaares und der Eltern mit Kindern war ein Fototermin häufig mit wichtigen Lebensstationen verbunden: dem Babyfoto, den Kleinkindern mit Spielzeug, der Einschulung, Konfirmation oder Kommunion und die Rekrutierung mit dem Foto in Uniform.


Viele dieser Bilder überdauerten in Familienalben – oft ohne weitere Hinweise zu Kontext oder Identität. Dennoch ermöglichen sie heute Einblicke in Lebenswirklichkeit, Bildsprache und kulturelle Rituale einer bürgerlich geprägten Gesellschaft.



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Besonders spezialisiert wurde sich auf Kinderaufnahmen, da sie eine potenzielle Kundenzielgruppe darstellten. Ihre Fotografie war anspruchsvoller und mit einem größeren Zeitaufwand verbunden. Auch hier gab es standardisierte Posen, häufig ergänzt durch wiederkehrende Spielwaren als Requisiten..


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Inszenierter Wohlstand

Diese Porträts inszenieren bürgerliche Identität durch die demonstrative Zurschaustellung von Luxus, Mode und sozialem Status. Kleidung, Schmuck und Accessoires – möglicherweise in den Kaufhäusern erworben und dort auch fotografisch festgehalten. Sie dokumentieren anschaulich die Veränderungen des Geschmacks und das Luxusempfinden von der Jahrhundertwende bis zu den 1930er Jahren.“


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Atelierporträts als Spiel und Selbstdarstellung

Manche Aufnahmen zeigen allegorische oder saisonale Inszenierungen: ein Mädchen als Engel, eine junge Frau als Elfenfigur, inszeniert mit ausgebreiteten Schleiern oder Flügeln. Eine kostümierte Gruppe und ein Junge mit Pfeife gekleidet als "kleiner Erwachsener" vermutlich zum Karneval oder einem Ko
stümfest.

 Solche Darstellungen,
wie sie möglicherweise im Rahmen saisonaler Studioaktionen  oder als privates Erinnerungsfoto für Familie oder Freundeskreis entstanden, unterstreichen die kreative Bandbreite auch innerhalb standardisierter Abläufe.



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Schnell-Photo: Porträts in Serie

In den 1910er- und 1920er-Jahren setzte sich in vielen Kaufhausateliers eine neue Form der Fotografie durch: das sogenannte „Schnell-Photo“, auch bekannt als „Leimrücken“ oder „American Automatic Photo“. .Der gesamte Ablauf – vom Fotografieren bis zur Übergabe der fertigen Bilder – war hochgradig standardisiert und auf Effizienz ausgelegt. Das Ergebnis: schnelle, serielle Porträts zu extrem günstigen Preisen.

Diese Methode machte es erstmals nahezu allen Bevölkerungsschichten möglich, sich fotografieren zu lassen – nicht nur aus sozialen oder familiären Gründen, sondern auch für ganz praktische Zwecke. Die Bilder wurden in kleinen Serien gefertigt (wie oben als Bogen mit 12 Schnellfoto-Aufnahmen eines Beamten der Deutschen Reichsbahn oder Reichspost), sodass einzelne Abzüge leicht ausgeschnitten und z. B. als Pass- oder Ausweisfoto verwendet werden konnten.

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 Zu den Schnellfoto-Angeboten gehörten neben den Passbildformaten auch Miniaturbilder zum Einstecken in Schmuckpostkarten oder die Brieftasche. Auch im Postkartenformat wurden schnell produzierte Porträts angeboten – sofort zum Mitnehmen, wenn auch in minderer Qualität. Später wurden in Kaufhäusern zudem Photomaton-Fotoautomaten aufgestellt. Die dort aufgenommenen Bilder lassen sich allerdings nicht zuordnen, da sie keine Hinweise auf den jeweiligen Automaten Standort enthalten.


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Porträtfotografie als Spiegel des sozialen Wandels

Die Porträts aus den Berliner Kaufhausateliers zwischen 1900 und 1933  dokumentieren Wohlstand, bürgerlichen Stolz und soziale Zugehörigkeit, die trotz dramatisch veränderter politischer und gesellschaftlicher Realitäten weitgehend unverändert blieben. Diese Inszenierung des „Gewohnten“ kann als Versuch verstanden werden, in einer Zeit der Unsicherheit und des Wandels ein Gefühl von Stabilität und Kontinuität zu bewahren.


Trotz der tiefgreifenden politischen, sozialen und historischen Umbrüche in der Kaiserzeit und der Weimarer Republik sind diese Brüche in den Kaufhaus-Porträts kaum erkennbar. Auch wenn sich die Fotoateliers breiteren Bevölkerungsschichten öffneten, zeigen die Bilder dennoch eine Gesellschaft, die weiterhin stark an bürgerlichen Normen orientiert war. Die Fotografie inszeniert bürgerliche Identität, die durch Konsum und Statussymbole wie teure Kleidung und exklusive Kaufhausartikel definiert wurde.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endete die Ära der Kaufhausateliers. Am 11. Juli 1933 trat die „Verordnung über den Abbau der selbständigen Handwerksbetriebe in Warenhäusern“ in Kraft. Sie hatte zum Ziel, kleine Handwerksbetriebe – darunter auch Fotoateliers – aus den großen Warenhäusern zu verdrängen. Diese Maßnahme war Teil einer ideologisch motivierten Wirtschaftspolitik, die den traditionellen, „deutsch“ verstandenen Handwerksstand stärken und zugleich jüdische Geschäftsinhaber systematisch ausschließen wollte. Für viele Fotostudios in Kaufhäusern bedeutete die Verordnung das wirtschaftliche Aus; andere wurden von ehemaligen Mitarbeitern als
Subunternehmer weitergefuert.



Quelle:
Dieser Beitrag basiert in wesentlichen Teilen auf der volkskundlichen Studie von Jeanne E. Rehnig:
„Das photographische Atelier im Warenhaus. Fotografie bei A. Wertheim (1898–1933) und Wolf Wertheim (1909–1914)“
Würzburg: Ergon Verlag, 1999
 (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte, Bd. 71)
 


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