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„Photographie Automat Bosco"

Ein magischer Moment


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Nicht der erste, aber der erste mit durchschlagendem Erfolg:
Der „ Apparat zur selbstthätigen Aufnahme und Fertigstellung von Photographien“ von Conrad Bernitt ermöglichte es erstmals einem breiten Publikum, sich selbst zu fotografieren – ganz ohne Fotografen und ohne Atelier. Vollautomatisch wurde das Foto in nur drei Minuten produziert und ausgegeben.
Der Automat wurde „Bosco-Automat“ genannt – benannt nach dem bekannten zeitgenössischen Zauberkünstler Bartolomeo Bosco, vermutlich weil die entstandenen Fotos wie ein Zaubertrick wirkten. Tatsächlich hatte Bosco selbst jedoch nichts mit dem Automaten zu tun.


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Der „Bosco-Automat“ war weit mehr als eine technische Kuriosität – er ist der Vorläufer moderner Fotokabinen. Seine Nutzung war häufig an besondere Ereignisse, Jahrmärkte oder Vergnügungsstätten gebunden – dadurch entstanden spontane, ungezwungene Einzel- oder Gruppenaufnahmen, mit Freunden oder Familie. Sehr häufig finden sich heitere Herrengruppen.


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In einer Zeit, in der Fotografien noch selten und teuer waren, ermöglichte dieser Automat erstmals einer breiten Bevölkerungsschicht den schnellen und kostengünstigen Zugang zu einem eigenen Porträt – ohne fotografisches Fachpersonal. Das Fotografiererlebnis – ein Bild fast unmittelbar in der Hand zu halten – war eine Sensation und Teil des Unterhaltungswerts.


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Die entstandenen Bilder sind Momentaufnahmen direkter und spontaner Selbstdarstellung, einer neuen Bildsprache, und wirken oft überraschend modern – anders als die eher steifen Studioaufnahmen, bei denen Fotografen ihre Kundschaft noch sorgfältig in Pose brachten. Ein wichtiger Schritt zur Demokratisierung der Fotografie.



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Diese selbsttätig arbeitende Apparatur, für die Conrad Bernitt aus Hamburg am 16. Juli 1890 ein Patent erhielt, funktionierte – wie es in der Patentschrift beschrieben wird – durch den Einwurf meist einer 50-Pfennig-Münze. Die zu fotografierende Person stellte sich vor den Automaten und löste mit der Münze den Mechanismus aus. Nach der Aktivierung lief der gesamte Prozess – von der Aufnahme über Entwicklung, Fixierung und Färbung bis hin zur Ausgabe des Fotos – vollautomatisch und ohne weiteres Zutun ab.
Kernstück der Konstruktion ist eine rotierende Trommel, die lichtempfindliche Platten nacheinander in die erforderlichen Positionen bringt und die mechanischen Abläufe für Belichtung und chemische Behandlung steuert.



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Bei dem verwendeten fotografischen Verfahren handelt es sich um eine Ferrotypie: Dabei wird das Bild direkt auf eine lackierte Eisenplatte mit einer lichtempfindlichen Schicht belichtet, anschließend chemisch entwickelt, fixiert und gewässert. Diese Methode war zu dieser Zeit bereits weit verbreitet und ideal, um schnelle und kostengünstige Fotografien herzustellen.

Ein zentrales Merkmal ist hier die gewölbte Metallplatte. Sie ist mit der lichtempfindlichen Emulsion beschichtet, und die spezielle Form des Blechs erfüllt eine doppelte Funktion: Sie dient gleichzeitig als flache Schale und ermöglicht die gezielte Verteilung der chemischen Flüssigkeiten, und sie bildet zugleich einen ansprechenden Bildrahmen auf der Vorderseite für das fertige Bild. Der Rahmen wird automatisch in verschiedene Lagen gebracht – senkrecht zur Belichtung, waagerecht für die chemischen Prozesse und geneigt zur Spülung und Ausgabe. Nach der Bildentwicklung öffnet sich eine unter dem Rahmen angeordnete Bahn, sodass das fertige Foto auf eine schräge Fläche zur Entnahmestelle gleitet.


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Die Fotos sind klein und handlich – 6 × 8 cm groß – und wurden meist in einem schick lackierten, roten Pappetui ausgegeben, das mit goldenen Buchstaben beschriftet war. Einfach, aber elegant. Diese Etuis, ebenso wie die Rahmen und Rückseiten, waren unterschiedlich beschriftet und gaben die wichtigsten Informationen zum Verfahren.


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Viel Eigenwerbung findet sich auf der metallenen Rückseite des Fotos. Während die Illustration oben noch auf die zauberhafte Entstehung der Bilder ausgerichtet ist, zeigt die untere – die interessanteste – eine Darstellung des Automaten in Funktion:
Dargestellt ist eine Frau in Kleidung nach der Mode des späten 19. Jahrhunderts – mit Hut und Schirm –, die auf einem Hocker sitzt und sich vor einem Fotoautomaten befindet. Der Apparat hat die Form eines turmartigen Kastens mit einem kleinen Dach.
 Der Hintergrund ist teilweise durch einen Paravent abgetrennt, was auf ein gewisses Maß an Privatsphäre beim Fotografieren hinweist – allerdings noch nicht auf die vollständig geschlossene Kabine mit Vorhang, wie sie bei späteren Automaten wie dem Photomaton üblich wurde.



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Auf einer ähnlichen Illustration auf einem Foto aus Portugal sieht man auch einen Operateur, der bei der Bedienung hilft und um ein Lächeln bittet.


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Der Bosco-Automat wurde sehr schnell populär und verbreitete sich rasant im In- und Ausland. Die Fotos waren zwar von eher bescheidener Qualität und klein, doch die technische Faszination und der Unterhaltungswert machten das Fotografieren mit dem Automaten zu einem Ereignis. Dass die Automaten mitunter in bierseliger Umgebung aufgestellt wurden, lässt sich auf einigen zeitgenössischen Bildern vermuten – und dürfte durchaus zum Erfolg beigetragen haben.

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Aufgestellt wurden die Automaten entweder nur für wenige Tage auf Ausstellungen oder auch dauerhaft – etwa in den Kaim-Sälen in München oder im Panoptikum am Spielbudenplatz in Hamburg-St. Pauli ab 1893. Dort konnte man zur gleichen Zeit Miss Lilly Presselly mit ihren dressierten Katzen und Hunden sowie den Kindesmörder Bejeuhr in der Schreckenskammer sehen.

Auch zeitgenössische Zeitungsberichte zeugen von der Beliebtheit der Automaten: So etwa 1896 in Stuttgart, wo die Tagespresse vom Besuch der Herzogin mit ihren Töchtern in der Ausstellung am Stadtgarten berichtete. Neugierig ließ sich die fürstliche Familie das Wunderwerk erklären – und sogar selbst porträtieren. Vor den beiden aufgestellten Automaten warteten laut Bericht fast ständig 15 bis 20 Personen. Der Bosco-Automat scheint glänzende Geschäfte gemacht zu haben.

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Auch bei Festtagen und Ausstellungen war der Automat präsent: 1897 zu den Feierlichkeiten des 100. Geburtstags von Kaiser Wilhelm I. im Grottensaal des Rathskellers in Bonn, beim Maskenball 1899 in der Automatenhalle in Karlsruhe oder beim „Abonnentenball" im Ballhaus Belle-Alliance in Hamburg-St. Pauli 1902, wo der „Bosco-Automat fleißig benutzt“ wurde und „vorzügliche Bilder lieferte“.

Doch die Betreibung der Automaten war offenbar nicht ganz ungefährlich. Wie das Hamburger Fremdenblatt am 2. März 1903 berichtete, kam es in St. Pauli, wahrscheinlich auch in der „Belle-Alliance", zu einer nächtlichen Explosion von Blitzpulver. Niemand wurde verletzt, „dennoch aber bemächtigte sich bei dem gewaltigen Knall, nach dem sofort eine dichte, gelbe Rauchwolke sich in den Saal wälzte, der anwesenden Gäste, namentlich der weiblichen Anwesenden eine große Aufregung, welche sich erst langsam wieder legte.“ Der Vorfall belegt, dass der Bosco-Automat mit Blitzpulver arbeitete – und das konnte durchaus riskant sein.


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Die produzierten Bilder waren sehr empfindlich gegenüber Kratzern und anderen Beschädigungen. Außerdem dunkelten sie mit der Zeit stark nach, weil das Bildsilber durch Feuchtigkeit und Luft oxidierte. Heute sind solche Aufnahmen nur noch selten erhalten und oft in schlechtem Zustand. Dennoch sind sie ein wichtiges Zeugnis aus den Anfängen der Fotografie.


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Text: Reinhard Krause
    Bilder: Sammlung Reinhard Krause